Tintenspuren in Jugenheim

Dichter-Spaziergang anlässlich des “Hessischen Tages für die Literatur”

JUGENHEIM (pem), Was hat Huckleberry Finn mit Jugenheim zu tun? Die Verbindung schafft die Übersetzerin des Twainschen Werkes: Henny Koch, die lange hier lebte und 1925 starb. Die 1853 in Alsfeld geborene Schriftstellerin dem Vergessen zu entreißen, hat sich die Hobby-Literaturforscherin Dana Rothstein zur Aufgabe genommen.

Die intensive Beschäftigung mit deren Schaffen und eifriges Materialsammeln zog weitere “Künstlerkreise” vor Ort. Querverweise vermittelten ein Bild der damals im 19. jahrhundert lebendigen, familiären Literaten-Szene, man kannte und schätzte einander persönlich.

So entstand die Idee zu einem Entdeckungsspaziergang von Dichterhaus zu Haus. “Es ist einfach schön,” freut sich Dana Rothstein, “dass man überall den Spuren der Literaten begegnen kann.”

Wenn man weiß, wo. Unschwer auszumachen ist das markante Domizil der prominentesten Jugenheimerin. Helene Christaller (1872-1953) wohnte ab 1903 im “Blauen Haus”, das sie an ein “italienisches Bauwerk”.erinnerte: Wie gerne sie das tat, spiegeln Ihre zahlreichen Bücher mit humorvoll-detailreichen Schilderungen des Familienlebens.

Die autobiographischen Werke färbt Lokalkolorit und noch heute teilt sich dem Leser das Flair vergangener Tage mit. Ein enger Vertrauter der Familie, der den Kindern Geigen-und Nachhilfeunterricht gab, befasste sich mit “Abenteuerliteratur für Knaben”: Reinhard Roehle (1876-1938) fuhr selber viele Jahre zur See, bevor er in der Bickenbacherstr. 3 ein zu Hause fand. Er verarbeitete aber nicht nur eigene Erlebnisse, sondern ließ sich Biographisches von “Kriegshelden” berichten, um sein Erzählen mit noch mehr Lebendigkeit zu bereichern.

Berufserfahrungen und künstlerische Tätigkeit flossen ebenso zusammen bei Roland Anheisser (1877-1949): Gärtner und Botaniker aus Profession, Maler aus Leidenschaft. Er illustrierte Fachbücher und schrieb über Architektureindrücke seiner Wanderungen. Unter seiner fachkundigen Hand wandelte sich das Anwesen Lindenstr. 9 in einen botanischen Garten.

Einen gesellschaftlichen Mittelpunkt schuf während ihrer sieben Jugenheimer Jahre Luise von Ploenies (1803-1872) mit dem “Dichterheim” (Hauptstraße 4). Sie selbst betätigte sich als Übersetzerin für Flämisch und Verfasserin religiös geprägter Lyrik.

Einem anderen Genre widmete sich Henny Koch: Sie gehörte zu den meist gelesenen Jugendbuchautorinnen. Mit 29 VerÖffentlichungen von Mädchenbüchern, Reise- und Kolonialliteratur, Backfischromanen verzeichnete sie Erfolge, den größten bescherte “Papasjunge”: in 94 Auflagen erschienen, in 5 Sprachen übersetzt und in Italien verfilmt!

Reinhard Roehle urteilte, dass ihre “Bücher zu Menschenkindern sprechen, um Freude zu machen.” Details ihrer Umgebung verwob sie oft in die Zeilen, denn das frohe Leben hier mag ihre Schaffensfreude gestärkt haben: “In meiner Klause mit zufriedenem Sinn tausch ich mit keiner Königin.”

Seit 2002 ist die Zwingenbergerstr. 20 deshalb Kulturdenkmal.

Am schönsten wäre es, wenn darüberhinaus wieder eine lebendige, enthusiastische Beschäftigung mit der damaligen reichen Kulturszene in Gang käme.

Dana Rothsteins ambitionierte Ausstellung macht größte Lust, die Tintenspuren des Ortes zumindest lesend weiter zu verfolgen.

MELIBOKUS-RUNDBLICK, 31.05.2009

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