Als Heimat für Schriftsteller wiederentdeckt

Als Heimat für Schriftsteller wiederentdeckt

“Tag der Literatur” mit literarischen Informationen, Lesungen, Ausstellungen und einem literarischen Stadtrundgang

ALSFELD. Mit einer literarischen Matinee begann bei strahlendem Frühlingswetter am Sonntag in Alsfeld der “Tag für die Literatur”, der mit zahlreichen Veranstaltungen in ganz Hessen begangen wurde. So war die Stimmung unter den mehr als zweihundert Gästen und Akteuren angeregt und heiter, als Jochen Weppler, Vorsitzender des Alsfelder Geschichts- und Museumsvereins, sie im Rittersaal des Museums begrüßte. Besonders hervorzuheben sei mit Blick auf die Museumspädagogik, die auch im Alsfelder Museum mehr und mehr an Bedeutung gewinnen soll, die Zusammenarbeit bei diesem literarischen Projekt mit der Albert-Schweitzer-Schule und der Stadtschule, so Weppler. Die Schüler unterschiedlichster Altersklassen und Schulformen hatten sich gemeinsam mit ihren Lehrern auf Spurensuche begeben, um Alsfelder Autoren zu entdecken und diesen ein Forum zu geben.

Während der feierlichen Einweihung des Gedenksteins für Johanna Merck, zu der man erstmals durch den wiedereröffneten Hintereingang über den Innenhof des Museums schritt, dankte Bürgermeister Ralf Becker allen Beteiligten, den Organisatoren, Mitwirkenden und Sponsoren für ihr Engagement, die Idee, Alsfelder Autoren wieder ins Bewusstsein zu rufen, umzusetzen. Auch Elisabeth Hillebrand, Schulleiterin der Albert-Schweitzer-Schule, sprach von einem “Projekt, das zündet”, wenn Kultur in dieser Weise über junge Leute weitergegeben wird. Peter Schwärzel, Leiter der Stadtschule, zeigte sich besonders von dem Zugang seiner noch sehr jungen Schüler zu diesem Stück Literatur sehr überrascht und erfreut. Er sei dankbar und stolz, dass seine Schule sich beteiligen konnte.

Abschließend erklärte Michael Rudolf, er sehe für die Fortführung dieses generations- und institutionsübergreifenden Projekts große Chancen, habe er doch schon weitere Alsfelder Autoren gefunden, die es zu entdecken gebe.

In dem anschließenden zweieinhalbstündigen Programm boten zahlreiche Schüler der beiden teilnehmenden Schulen, moderiert von Julia Krug und Elena Ritter und musikalisch umrahmt von Ines Hohl am Klavier und David Bernbeck am Cello, die Ergebnisse ihrer Spurensuche dar. Eine Ausstellung zeigte einen interessanten und bunten Blick der Grundschüler auf die lange vergessenen Schriftsteller, während in den folgenden Präsentationen der Gymnasiasten nicht nur die Biografien, sondern auch die Zuordnung zu politischen und literaturgeschichtlichen Epochen sowie Informationen über die unterschiedlichen Stile der Autoren beleuchtet wurden.

Literatur-Wegbereiterin

Zunächst ging es um Johanna Merck (1737-1773), Wegbereiterin der deutschen Literatur, die mit ihrer Familie in Alsfeld lebte. Aufgrund ihrer Art, Gefühle zu beschreiben, wird sie gerne mit der antiken griechischen Dichterin Sappho verglichen. Jedoch schrieb sich nicht nur Gedichte (“Gedichte eines Frauenzimmers”), sondern auch Prosa, in der sie sich einerseits ihren Hauptthemen Bewusstsein, Religion und Freundschaft widmete, andererseits aber auch – Mensch ihrer Zeit – sich mit den Inhalten der Aufklärung auseinandersetzte. Veröffentlichungen ganz anderer Art bot der Historiker Johann Just Winkelmann (1620 – 1699), der in seinem Hauptwerk besonders die von ihm sehr geschätzte Stadt Alsfeld pries. Seine Verbindung zu Alsfeld war die Herkunft seiner Mutter Barbara Stumpf.

Über Henny Koch, geboren 1854 in Alsfeld (gest. 1925) und ihre “Backfischliteratur” berichteten nicht nur die Schülerinnen der Albert-Schweitzer-Schule, sondern auch die Kinder einer vierten Grundschulklasse, die ein ebenso liebenswertes wie heiteres Stück über einen Besuch von Stadtkindern in der Schwalm aufführten. Henny Koch, eine inzwischen vergessene Schriftstellerin, beschrieb in ihren Werken oft den typischen und von der Gesellschaft erwünschten Werdegang junger Frauen.

Einen historischen Exkurs boten drei Schüler mit ihrer Präsentation des Lebens und Wirkens des Ober-Gleener Revolutionärs Friedrich Ludwig Weidigs, der gemeinsam mit Georg Büchner den “Hessischen Landboten” herausgegeben hatte. Sehr anschaulich wurde im Anschluss die Biografie Frieda Bückings (1853 – 1925) beschrieben. Weit gereist und für die damalige Zeit sehr emanzipiert, verarbeitete sie persönliche Erlebnisse in ihren Geschichten aus der Schwalm und Alsfeld, zum Beispiel in der Erzählung “Aus dem Leben einer kleinen Stadt”, in der sie liebevolle Details aus dem Alltag der Bewohner Alsfelds porträtiert, die sie aus dem Erker ihres Hauses am Marktplatz beobachtet.

Als letzter Alsfelder Literat wurde schließlich Wilhelm Jacob Georg Curtman (1814 in Alsfeld – 1896) vorgestellt. Als Pädagoge von bedeutendem Rang machte er sich als Bildungsreformer und Philosoph einen Namen und veröffentlichte zahlreiche Werke in Zeitschriften und Büchern. Aus seinen “Lehrreichen Geschichten” boten zuerst Schüler einer sechsten Gymnasialklasse einen interessanten Einblick in die Inhalte der Geschichten damals, überarbeitet mit Bezug auf die heutige Zeit.

So wurde aus einem Wald, in dem sich ein Kind verirrte und von einem Bettler gerettet wurde, ein U-Bahnhof in L.A. und eine Drogengang. Literarische Ansätze sind offensichtlich zeitlos. Auch Wilhelm Trautwein, Curtmans Ur-Ur-Enkel, las aus dem Werk seines Vorfahren. Zum Abschluss dieser Matinee, die bis in den frühen Nachmittag andauerte, stand noch einmal der aktuelle Bezug zur Literatur auf dem Programm: Die Teilnehmer an der Deutsch-Olympiade, Schüler der Albert-Schweitzer-Schule, die vor kurzem die Silbermedaille im Landeswettbewerb gewonnen haben, zeigten ihr Können im kreativen und originellen Umgang mit Sprache.

Zum Abschluss des Programms stimmte Ines Hohl am Klavier das Publikum, dessen Reihen sich inzwischen doch schon gelichtet hatten, mit den frühlingshaften Stücken “März – Lied der Lerche” und “Juni – Barkarole” von Peter Tschaikowsky auf einen warmen Nachmittag ein, an dem sich die Möglichkeit bot, gemeinsam mit Stadtarchivar Michael Rudolf einen ersten literarischen Stadtrundgang zu machen, auf dem man an signifikanten Stellen die Gedenktafeln für die vorgestellten Autoren entdecken konnte.

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gsi, Oberhessische Zeitung, 11.5.2009

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