Hessische Trachten

Von Henny Koch.

Martha und Mariechen hatten wundervolle Ferientag gehabt. Sie durften mit Vater und den zwei Brüdern eine Fußwanderung in den Vogelsberg machen. Da waren Hitze und Staub der sonst so geliebten Vaterstadt Kassel schnell vergessen, und man kam heim mit drallen roten Backen, mit blitzenden Augen und vor allem mit bis zum Bersten gefüllten Erinnerungstaschen.

Mutter mußte Ströme von sich überstürzenden Worten über sich ergehen lassen und tat es lächelnd und gerne.

“Mutter, das Schönste waren die Wälder,” sagte Franz, ihr Ältester, der Forstmann werden wollte.

“Nein du, die Butterschnitten,” krähte der kleine Max, dem die Geschwister vorschlugen, Koch zu werden, weil ihm der Magen der wichtigste Körperteil war.

Martha und Mariechen aber rühmten vor allem die wunderschöne Tracht der Mädchen aus dem Schwälmer Grund, den sie zumeist durchwandert hatten.

“Rote Käppchen haben sie, Mutter, und darunter sind die Haare ganz fest zusammengedreht. Die haben leicht ordentlich aussehen,” seufzte Mariechen, deren Kraushaar und Strubbelzöpfe manch einen Anlaß zu mütterlichem Tadel boten.

Martha, die Ältere, aber erzählte weiter: “Röcke haben sie, gewiß sechs übereinander und alle unten mit bunten Bändern besetzt, die man sieht, weil immer ein Rock etwas kürzer ist als der andere. Zu lustig! Ganz rund wie Fäßchen sehen sie aus. Und unter den Samtmiedern sieht man die Hemdärmel oder sie ziehen eine Tuchjacke darüber, wenn’s ihnen zu kalt ist. Wunderschöne Schnallenschuhe haben sie auch, und die Strumpfbänder sind bunt und in schöne Schleifen gebunden wie bei uns die Haarbänder. Sehr nett, Mutter.”

“Wir haben mit ein paar Mädchen Ringelreihen getanzt, und das war äußerst lustig,” fiel Mariechen ein.

Hessische Trachten

Und Martha fügte hinzu: “Ja, und da hab’ ich denken müssen, wie viel hübscher sie in ihrer Tracht aussehen, als in den Stadtkleidern, die sie anziehen, wenn sie zu uns kommen.”

“Ganz meine Meinung, Tochter,” sagte des Vaters Baß aus dem Hintergrund, wo er behaglich schmauchte.

“Ha-ha-ha, ich möchte’ wissen, wie ihr euch ausnehmen würdet in Bauernkleidern,” sagte Franz, der still zugehört hatte.

“Fein!” jubelten Martha und Mariechen wie aus einem Mund.

“Für Vaters Beutel ist’s schon besser, ihr bleibt bei dem einen Röckchen, als wenn euch Mutter allemal sechs beschaffen müßte,” fuhr Franz fort, der rechnete.

“Bravo, mein Sohn,” stimmte es ihm aus dem Hintergrund bei.

“Außerdem: Schuster bleib bei deinem Leisten,” sagte lachend jetzt die Mutter. “Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Wenn euch die Landmädchen nicht in Stadtkleidern gefallen, mir gefallen die Stadtleute auch nicht in Bauerntracht. Darum schaff’ ich euch auch kein sogenanntes Dirndelkleid an, ich finde das ein wenig lächerlich, namentlich bei Erwachsenen.”

“Ganz meine Meinung,” ließ sich wieder der Vater aus dem Hintergrund hören.

Martha und Mariechen seufzten hörbar. Dies war ersichtlich ein wunder Punkt zwischen Mutter und Töchtern.

“Aber einmal – einmal möcht’ ich auf dem Land sein dürfen in richtigen Bauernkleidern, einmal, ein einzigesmal.” Mariechen flehte bei diesen Worten mit Augen und Stimme.

Martha warf den Kopf mit den Hängezöpfen zurück: “Ich kann auch ohne das auskommen. Mutter hat am Ende recht.”

“Wie stets,” bestätigte der Vater.

Aber Mariechen, die eine kleine Hartnäckige war, verbiß sich weiter in ihren Wunsch. “Ich weiß nicht, was ich drum gäbe, wenn ich einmal, nur ein einzigesmal in Bauernkleidern stecken dürfte.”

Am Fensterplatz saß die alte Nähfrau, die nun schon jahrelang in die Familie kam. Mariechen war ihr besonderer Liebling. Sie rückte die Brille hoch, was immer so sehr lustig aussah, wie Mariechen versicherte, und sie sagte: “Mariech, komm am Sonntag mit zu meiner Schwester, ja? Sie wohnt nicht weit, nach Guntershausen zu. Dort bin ich geboren, und ich hab’ auch lang’ solche Kleider getragen, und die sind fast so, wie ihr sie vorhin beschrieben habt, Röcke, bis man kugelrund aussieht, bunte Leibchen, weiße Strümpfe, Schnallenschuhe, bunte Strumpfbänder und kleine gestickte Mützchen, unter denen die Haare strammgezogen sind. Alles beinahe wie an der Schwalm. Komm mit, Mariechen, sollst den schönsten Anzug haben, das verspreche ich dir. Wenn es die Mutter erlaubt, natürlich.” Die Brille war wieder an Ort und Stelle, und die fleißige Hand schaffte weiter.

Mariechen aber lag vor der Mutter buchstäblich auf den Knien: “Ich darf doch, Mutter, ich darf doch?” Die Augen flehten so beweglich, daß sich ein Stein hätte erweichen lassen.

Mutter war kein Stein, Mutter hätte auch das Freudenflämmchen nicht löschen mögen in Maries Augen. Sie sagte ja.

Und wie sich Mariechens Wunsch erfüllte, wie nett sie als Dirndel aussah, und wie glückselig stolz sie war, kann man auf dem kleinen Bildchen hier sehen. Mariechen ist nämlich die strahlende kleine Dirne, die zu äußerst rechts in der Reihe steht.

Hessische Trachten


Bei den Fotos handelt es sich um die Originalillustrationen der Veröffentlichung im “Jugendgarten”. Bei meinem Besuch in Henny Kochs Geburtsstadt Alsfeld in Nordhessen habe ich einen Schwälmer Brunnen mit einer Mädchenfigur in Schwälmer Tracht entdeckt:

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