Der vergessene Backfischliebling

Heute vor 150 Jahren: Schriftstellerin Henny Koch in Alsfeld geboren – 29 Romane verfasst

ALSFELD (rwh). Auch Erfolg schützt vor Vergessen nicht. Heute vor 150 Jahren ist in Alsfeld eine Frau geboren, die zu ihren Lebzeiten eine bekannte Schriftstellerin war und heute fast völlig in Vergessenheit geraten ist, auch und gerade in ihrer Geburtsstadt: Am 22. September 1854 kam Henny, eigentlich Henriette, Koch in Alsfeld zur Welt.

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Die Tochter eines Leinenfabrikanten wurde zu ihren Lebzeiten zu einer viel gelesenen Jugendschriftstellerin, vor allem bei jungen Mädchen. Sie verfasste 29 Bücher, überwiegend Backfischromane, die meisten zunächst als Fortsetzungsgeschichten in der illustrierten Mädchenzeitung “Das Kränzchen”, die ihre Autorin in einer Verlagswerbung als “der erklärte und bevorzugte Liebling unserer deutschen Mädchenwelt” bezeichnet. Henny Kochs Bücher wurden in fünf Sprachen übersetzt, dienten als Drehbuchvorlagen für Verfilmungen – und doch ist die Autorin heute völlig in Vergessenheit geraten, ihr 150. Geburtstag ist für die Feuilletons im Lande kein Anlass zu tiefgründigen Betrachtungen über das Verschwinden eines Literaturgenres.

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Dass Henny Koch nicht völlig aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwindet, hat sie einer faszinierten Leserin zu verdanken. Dana Rothstein, heute 29-jährige Bauingenieurin, bekam als junges Mädchen einen Henny-Koch-Roman geschenkt. Sie wurde neugierig auf die Autorin, wollte mehr über sie wissen und stellte zu ihrer Verblüffung fest, dass sie im gleichen Ort zu Hause war, in dem sie selbst wohnt: im südhessischen Jugenheim. Dorthin war Henny Koch 1881 mit ihrer Tante Sophie Ernst gezogen. Schon Jahre zuvor hatte sie Alsfeld verlassen, die Familie hatte sich in Büdesheim bei Bingen niedergelassen, wo der Vater eine Weinhandlung betrieb.

Ein knappes Jahrzehnt nach dem Umzug an die Bergstraße begann Henny Kochs schriftstellerische Karriere, zunächst mit Übersetzungen amerikanischer Autoren, 1901 schrieb sie, mittlerweile einem literarischen Kreis in ihrer neuen Heimatstadt angehörend, ihr erstes eigenes Buch: “Mein Sonnenstrahl” mit dem Untertitel: Eine Erzählung für erwachsene junge Mädchen. Damit war der Ton vorgegeben, den Henny Koch bis zu ihrem Tod 1925 in Jugenheim in ihren Büchern beibehielt. Backfischliteratur wie es im Literaturlexikon heißt, aber durchaus um “untypische Themen” erweitert, sagt Dana Rothstein, mittlerweile zur Henny-Koch-Expertin geworden. Mädchenkriegsromane, Mädchenkolonialromane, Mädchenreiseromane, historische Mädchenromane – “von all diesen Gattungen finden sich Exemplare in ihrem Werk”.

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Dana Rothstein muss es wissen. 28 der 29 Romane von Henny Koch kennt sie und hat sie im eigenen Bücherschrank stehen, ihr fehlt in ihrer Sammlung lediglich “Glory”, eine “lustige deutsche Mädelgeschichte” aus dem Jahre 1921. Eine ganze Reihe der Bücher besitzt sie in Übersetzungen, in Norwegen, den Niederlanden, Italien, Spanien und Argentinien wurde Henny Koch damals verlegt. Eine holländische Ausgabe erhielt Dana Rothstein per Internet-Kontakt einmal aus Kanada zugeschickt. In Italien wurde einer der Romane in den 40er Jahren sogar verfilmt.

Je mehr sich die junge Jugenheimerin mit der Autorin befasste, um so stärker wuchs auch der Wunsch, mehr über den Geburtsort von Henny Koch in Erfahrung zu bringen. 1997 nahm sie Kontakt mit Alsfelds Stadthistoriker Dr. Herbert Jäkel auf, der schon 1992 in der Heimat-Chronik der OZ und in den Mitteilungsblättern des Geschichts- und Museumsverein die Familiengeschichte der Familie Koch geschildert hatte, wobei Henny Koch allerdings nur kurze Erwähnung fand. Beleg für die These, dass ihre spätere schriftstellerische Entwicklung in Alsfeld weitgehend unbekannt geblieben war.

In der vergangenen Woche war Dana Rothstein zum ersten Mal in Alsfeld, verschaffte sich einen Eindruck vom Geburtshaus “ihrer” Schriftstellerin am Ludwigsplatz und stattete dem Stadtarchiv im Beinhaus einen Besuch ab. Ihr Besuch diente der Vorbereitung einer Ausstellung, mit der an Henny Koch erinnert werden soll. Aus Anlass ihres 150. Geburtstages zeigt die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt vom 12. Oktober bis 12. November eine Auswahl ihrer Bücher, außerdem Dokumente und Fotos über die Schriftstellerin und aus ihrem Leben.

Roland Heinrich
Oberhessische Zeitung, Alsfeld, 22.09.2004

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